Wenn die Krankschreibung eines gekündigten Mitarbeiters genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses dauert, können Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit be-rechtigt sein.

14. Februar 2024

Das stellte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in seiner Entscheidung vom 13.12.24 (5 AZR 137/23) fest und konkretisierte die Voraussetzungen für die Erschütterung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.

Meldet sich ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit einer Kündigung krank, kommt schnell der Verdacht auf, die Arbeitsunfähigkeit könnte nur vorgetäuscht sein. Dies zu beweisen, ist für Arbeitgeber oft schwierig.

Gerichte messen der ärztlichen Krankschreibung grundsätzlich eine hohe Beweiskraft zu.
Nach der Rechtsprechung  des kann der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeit erschüttert sein, denn die Arbeitsunfähigkeit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigung steht und die Dauer der Krankschreibung genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses dauert.
Dies hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch darlegen und beweisen muss.

Stets muss eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände erfolgen, betonte das BAG in seiner aktuellen Entscheidung. Unter den vorliegenden Umständen war der Beweiswert von zwei Folgebescheinigungen für das BAG erschüttert: Die Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit erfolgte passgenau zur Kündigungsfrist und direkt nach Ende des Arbeitsverhältnisses begann der Arbeitnehmer einen neuen Job.

Im vorliegenden Verfahren stritten Arbeitgeber und Arbeitnehmer um die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Arbeitgeber, ein Zeitarbeitsunternehmen, hatte Zweifel, dass ein Mitarbeiter tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war.
Am 2. Mai 2021 meldete er sich mit ärztlichem Attest krank – zunächst für vier Tage. Der Arbeitgeber kündigte ihm am selben Tag ordentlich zum Ende des Monats. In der Folge reichte der Arbeitnehmer zwei weitere Krankschreibungen ein, sodass er bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig geschrieben war.

Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung. Als Grund nannte er, dass die Krankmeldung des Arbeitnehmers zeitgleich mit seiner Kündigung erfolgt sei und genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses angedauert habe. Denn unstreitig war er Anfang Juni wieder gesund und habe einen neuen Job angenommen.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen urteilte, dass der Arbeitgeber den ausstehenden Lohn zahlen muss.

Bei den beiden darauffolgenden passgenau ausgestellten AU-Bescheinigungen hielt das BAG jedoch den Beweiswert für erschüttert. Hier habe das LAG nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Arbeitnehmer unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Für diese Zeit der Krankschreibung habe der Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch. Es sei zudem unerheblich, ob es sich um eine Eigenkündigung oder eine Kündigung des Arbeitgebers handele. Daher verwies das BAG die Sache an das LAG zurück. Das LAG wird zu prüfen haben, ob tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit bestand.

Allerdings bedeutet das Urteil nicht, dass der Entgeltfortzahlung in solchen Konstellationen immer entfällt. Der Arbeitnehmer muss nunmehr darlegen und beweisen, dass er tatsächlich erkrankt war. Dies kann er auch weiterhin machen, indem er etwa seine Krankheitsumstände näher erläutert, ärztliche Befundberichte beibringt oder den die AU ausstellenden Arzt als Zeugen im Zahlungsprozess nennt.

Der Arbeitnehmer wird also durch die Entscheidung keineswegs schutzlos gestellt oder das Entgeltfortzahlungsrecht ausgehöhlt. Die aktuelle Entscheidung des BAG stellt damit keinesfalls den Untergang des Abendlandes im Entgeltfortzahlungsrecht dar oder kann als Auftakt zu einer Verschlechterung des Schutzstandards für Beschäftigte verstanden werden. Dass Arbeitgeber bei Krankmeldungen im Zusammenhang mit Kündigungen nunmehr noch genauer hinsehen werden, könnte hingegen durchaus Folge der aktuellen Entscheidung sein.

In Folge dieser Rechtsprechung haben sich der Praxis eine ganze Reihe gerichtlicher Verfahren zu dieser Themathik ergeben.